Im Kanton Basel-Landschaft formiert sich Widerstand gegen eine geplante Änderung im Bau- und Planungsrecht. FDP-Landrätin Christine Frey und der Hauseigentümerverband Baselland kritisieren Bestrebungen, wonach Quartierpläne künftig nicht mehr im Konsens, sondern mit Zweidrittelmehrheit geändert oder aufgehoben werden sollen. In Fällen mit ungleichen Interessen könnten einzelne Eigentümer damit überstimmt und faktisch entmachtet werden. Frey spricht von einer «Enteignung durch die Hintertür».
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht Paragraph 106 des kantonalen Raumplanungs- und Baugesetzes (RBG). Dieser verlangt bisher, dass Änderungen von Quartierplänen nur mit Zustimmung aller betroffenen Eigentümer erfolgen dürfen. Künftig soll nach Vorstellung des Kantons eine qualifizierte Mehrheit ausreichen – auch gegen den Willen Einzelner. In seiner Antwort auf eine Interpellation von Frey bestätigt der Regierungsrat, dass eine entsprechende Gesetzesänderung in Vorbereitung sei. Eine Vernehmlassung ist für 2025 angekündigt.
Quartierpläne sind bislang privatrechtlich ausgestaltete Verträge. Sie regeln auf freiwilliger Basis die konkrete Ausgestaltung eines Siedlungsgebiets: Bebauung, Erschliessung, öffentliche Durchgänge, Höhenstaffelung, Gestaltungsvorschriften. Eigentümer verzichten dabei bewusst auf Teile ihrer Freiheit, um gemeinsam bauliche Ordnung und Entwicklung zu ermöglichen. Dies aber immer auf Basis wechselseitiger Zustimmung. Die geplante Gesetzesänderung würde nun mit diesem Prinzip brechen.
Mehrheit statt Konsens
Christine Frey warnt vor den Folgen: «Wer in der Minderheit ist, könnte künftig gezwungen werden, Nutzungsauflagen hinzunehmen, die seinen Interessen widersprechen.» Schon heute gebe es Gemeinden, die mit Verweis auf die anstehende Revision einzelnen Eigentümern signalisieren, dass ihr Widerstand keine Bedeutung mehr habe. «Das öffnet faktisch der Enteignung ohne Entschädigung Tür und Tor», so Frey.
Wie das in der Praxis aussehen könnte, veranschaulicht ein Beispiel: Drei nebeneinander liegende Parzellen von drei verschiedenen Eigentümern müssen gemäss Quartierplan einheitlich geregelt sein. Zwei Eigentümer wollen dreistöckig bauen, einer fünf. Der abweichende Eigentümer könnte nach neuem Recht überstimmt werden. Gleiches gilt für Durchgänge, Gewerbeflächen oder Veloabstellplätze. Wenn nur eine Parzelle der drei von Infrastrukturauflagen betroffen ist, können die anderen dem zustimmen – der Eigentümer in der Minderheit muss sich fügen.
Die Konsequenzen wären weitreichend – auch finanziell. Der Wertverlust auf einer Parzelle, die baulich benachteiligt wird, kann rasch siebenstellig ausfallen. Umgekehrt könnte ein Eigentümer durch den neuen Planungsrahmen auch gezwungen werden, baulich aktiv zu werden – etwa bei der Erschliessung oder beim Rückbau bestehender Bauten.
Unsicherheit wäre die Regel
Rechtsexperten verweisen auf Artikel 26 der Bundesverfassung: Das Eigentum ist gewährleistet. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind. Doch selbst diese Kriterien reichen bei planungsrechtlichen Eingriffen nicht immer aus. Sobald privatrechtliche Verträge wie Quartierpläne betroffen sind, stellen sich zusätzliche Fragen: Muss der Staat Vertragsinhalte respektieren? Darf eine gesetzlich verordnete Mehrheitsregel bestehende Vereinbarungen ausser Kraft setzen?
Besonders kritisch könnte der Aspekt der fehlenden Entschädigung gesehen werden. Wenn ein Eigentümer ohne sein Einverständnis eine geringere Ausnutzung seiner Parzelle hinnehmen muss, liegt zumindest wirtschaftlich eine Teilenteignung vor. Klassische Enteignungsverfahren hingegen erfordern eine umfassende Interessenabwägung, Anhörung und Entschädigung. All das würde bei einer schlichten Quartierplanänderung durch Mehrheitsentscheid wegfallen.
Der HEV BL warnt vor einem gefährlichen Präzedenzfall. Wenn Gemeinden künftig aktiv mitentscheiden können, was auf privaten Parzellen passiert, über die Köpfe der Eigentümer hinweg, so droht ein Machtungleichgewicht. Besonders brisant: Der Staat selbst besitzt in vielen Gemeinden grössere Landreserven – und würde dadurch Teil solcher Abstimmungen. Damit stellt sich auch immer die Frage nach der Befangenheit respektive Neutralität des Verfahrens.
Die Regierung argumentiert, es gehe um «Flexibilität in der Planung» und um «praktische Lösungen bei blockierten Projekten». Doch Kritiker sehen darin eine strategische Verlagerung der Planungshoheit vom Eigentümer zum Gemeinwesen – mit fragwürdiger Rechtsbasis. Denn die geplante Lockerung wird nicht als Einzelfallinstrument gedacht, sondern als neues Regelsystem.
Betroffen sind dabei nicht nur Einfamilienhausbesitzer, sondern auch Bauherren, Genossenschaften und institutionelle Investoren. Wer über Jahre auf den Bestand einer Vereinbarung vertraut und darauf aufbauend Projekte entwickelt, gerät in ein Klima wachsender Unsicherheit. Wenn Planungsrecht rückwirkend geändert oder durch Mehrheiten neu geschrieben werden kann, verlieren Eigentümer ein zentrales Element rechtlicher Planbarkeit.
Dass die Frage auch vor Bundesgericht landen könnte, halten Beobachter für wahrscheinlich. In mehreren Kantonen, etwa Zürich und Bern, kam es in ähnlichen Fällen zu jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen. Basel- Landschaft könnte nun zum nächsten Testfall werden – nicht nur für das Verhältnis von Privatem und Öffentlichem, sondern auch für die verfassungsrechtliche Tragfähigkeit kommunaler Planungshoheit im Zusammenspiel mit dem Zivilrecht.