• News

Regierung auf Prüfstand: Gutachten kritisiert Umsetzung von Vorgaben

11.06.2025

Baselbieter Verwaltung Eine neue juristische Analyse zeigt, wie der Regierungsrat in mehreren Fällen verbindliche Vorgaben einfach ausblendet – trotz klarer Gesetze oder Volksentscheide.

Es war ein Antrag mit politischer Sprengkraft: Der HEV Baselland reichte im Oktober 2023 ein Gesuch beim vereinseigenen Schutzfonds ein, weil er einen dringenden Klärungsbedarf sah. Die zentrale Frage lautete: Wie steht es um das Grundverständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Kanton Basel-Landschaft?

Der Verband der Baselbieter Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer warf der kantonalen Verwaltung vor, Beschlüsse des Landrats und Entscheide des Stimmvolks systematisch zu unterlaufen. Besonders betroffen seien die Bereiche Klimapolitik, Raumplanung und Verkehr, heisst es im Gesuch. Es forderte ein unabhängiges Gutachten, das die Einzelfälle juristisch einordnet und aufzeigt, welche Instrumente dem Parlament – und indirekt dem Volk – überhaupt zur Verfügung stehen, um den Vollzug demokratisch legitimierter Entscheidungen einzufordern.

Dieses Gutachten liegt jetzt vor. Die Verwaltungsrechtler Andreas Abegg und Goran Seferovic zeigen auf rund 40 Seiten, wie im Baselbiet zwar eine rechtlich korrekte, aber demokratisch fragwürdige Praxis entstehen konnte. Ihre Diagnose: Es besteht erheblicher Reformbedarf.

Wachsendes Spannungsfeld
In den Augen des Verbands häuften sich Beispiele dafür, dass demokratisch gefällte Entscheide in der praktischen Umsetzung von den Behörden verwässert oder gar konterkariert wurden. Das Gesuch des HEV Baselland wollte deshalb nicht, dass ein Gutachten sich nur auf Einzelfälle beziehen würde, sondern dass es vor allem auch untersuche, ob ein strukturelles Problem vorliegt. Drei exemplarische Politikfelder standen dabei im Vordergrund: die Klimapolitik, die Ausgestaltung der Mehrwertabgabe und die Verkehrsinfrastruktur.

Besonders die Klimapolitik bot aus Sicht des HEV Anlass zur Kritik. Trotz der Ablehnung des nationalen CO₂-Gesetzes durch 53 Prozent sowie ein klares Nein zur kantonalen Klimainitiative durch 65 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gab es bei der Baselbieter Regierung kein Umdenken. Im Gegenteil. Sie verfolgte weiter eine Strategie, welche die zentrale Elemente beider Vorlagen beinhalteten. So fanden sich etwa sektorale Reduktionsziele, Monitoringpflichten und technologiebezogene Vorgaben erneut in den offiziellen Planungen.

Auch bei der Mehrwertabgabe habe sich die Verwaltung weit vom Volksentscheid von 2019 entfernt, heisst es sinngemäss im Gesuch des HEV Baselland. Zur Erinnerung: 2019 wurde eine Regelung beschlossen, die lediglich bei Neueinzonungen eine Abgabe von 20 Prozent vorsah. Die Regierung nahm jedoch ein späteres Bundesgerichtsurteil zum Anlass, um auch Um- und Aufzonungen mit mindestens 30 Prozent zu belasten – eine deutliche Ausweitung über das ursprüngliche Mandat hinaus (wir berichteten). Ein weiteres Beispiel sah der Verband im Bereich Verkehr: Seit 2020 ist im kantonalen Strassengesetz festgeschrieben, dass das Hochleistungsstrassennetz ausgebaut werden soll. Zudem verpflichtet der Paragraph 43e im kantonalen Strassengesetz den Regierungsrat zu halbjährlichen Berichten über den Stand der Umsetzung. Beides sei unterblieben, argumentiert der HEV BL. Selbst eine vom Landrat beschlossene Wiedereröffnung der Rheinstrasse zwischen Augst und Pratteln sei nicht umgesetzt worden.

Vier exemplarische Konfliktlagen
Das unlängst veröffentlichte juristische Gutachten nahm diese Kritikpunkte auf und unterzog sie einer detaillierten Prüfung. Es entstand unter der Federführung von Andreas Abegg und Goran Seferovic, zwei renommierte Experten für Staats- und Verwaltungsrecht. Die beiden Rechtsexperten untersuchten vier zentrale Fallbeispiele, ordneten sie rechtsstaatlich ein und formulierten daraus Reformvorschläge. Im Fall der «Klimastrategie» diagnostizierten die Gutachter eine formale Legalität, jedoch eine politische Missachtung des Volkswillens. Zwar könne die Regierung strategische Planungen autonom entwickeln, doch widerspreche die inhaltliche Ausrichtung einem mehrfach geäusserten demokratischen Entscheid, schreiben Abegg und Seferovic. Um diese Lücke zu schliessen, solle der Landrat künftig strategische Energiemassnahmen genehmigen müssen – gegebenenfalls mit Referendumsmöglichkeit.

Auch bei der «Revision der Mehrwertabgabe» wurde zwar kein direkter Gesetzesverstoss festgestellt, wohl aber ein institutionelles Problem. Das Bundesgerichtsurteil, auf das sich die Baselbieter Regierung bei ihrer Gesetzesinterpretation beruft, habe nicht verlangt, Um- und Aufzonungen stärker zu besteuern, heisst es. Die Gutachter empfehlen deshalb, dass künftige Ersatzregelungen infolge Gerichtsurteilen auf das absolut Notwendige beschränkt bleiben sollten. Eine verfassungsrechtliche Verankerung dieses Grundsatzes könne Abhilfe schaffen. Im dritten Beispiel, der Verkehrsanordnung Rheinstrasse, bestätigte das Gutachten, dass verkehrsrechtliche Anordnungen formal in die Kompetenz der Regierung fielen. Dennoch sahen die Autoren Handlungsspielräume: Der Landrat könne mit einer gesetzlichen Änderung ein direktes Weisungsrecht erhalten – eine Möglichkeit, die in anderen Kantonen bereits bestünde.

Eine besondere Aufmerksamkeit widmeten die Gutachter dem «Strassengesetz». Obwohl dieses den Regierungsrat zu Massnahmen und Berichterstattung bezüglich Ausbau des Strassennetzes verpflichtet, bleiben Berichte seit Jahren aus. Der Vorschlag der Gutachter, um dieses Problem zu beseitigen: Der Landrat solle ein Initiativrecht für Realakte erhalten. Zudem könne notfalls der Rechtsweg beschritten werden. Das Gutachten beschränkte sich nicht auf Kritik, sondern formulierte insgesamt fünf konkrete Reformansätze, die das Verhältnis von Regierung, Parlament und Verwaltung neu justieren sollten.

Konkrete Reformvorschläge
Ein erster Schwerpunkt lag auf der Ausgestaltung strategischer Planungen: Künftig solle jede kantonale Energiestrategie einer parlamentarischen Genehmigung unterliegen. Um die demokratische Legitimation zu stärken, solle darüber hinaus ein fakultatives Referendum möglich sein – analog zur Finanzplanung.

Zweitens plädierten die Autoren für eine klare Eingrenzung des Handlungsspielraums der Regierung nach Gerichtsurteilen. Ersatzregelungen sollten sich eng an die richterlichen Vorgaben halten. Diese Begrenzung solle gesetzlich fixiert werden – etwa durch einen Zusatz in der Kantonsverfassung.

Ein dritter Reformvorschlag betraf die Rolle des Regierungsrats als Beschwerdeinstanz. Das Gutachten kritisierte die Praxis der sogenannten Sprungbeschwerde, bei der Beschwerden direkt an das Kantonsgericht weitergeleitet werden, nachdem zuvor die Regierung entschieden hatte. Diese Konstellation widerspreche der Gewaltenteilung. Die Gutachter empfahlen, die Exekutive aus der Rechtsmittelinstanz herauszulösen. Viertens sollte das parlamentarische Instrumentarium gestärkt werden. Anstelle unverbindlicher Handlungspostulate solle der Landrat ein echtes Weisungsrecht erhalten, das sich auch auf administrative Anordnungen erstreckt – sofern diese von öffentlichem Interesse seien und in gesetzlich definierten Grenzen blieben. Schliesslich regte das Gutachten eine Diskussion über die demokratische Steuerbarkeit der Verwaltung an. In mehreren Kantonen – etwa in Solothurn oder Graubünden – existierten bereits Rechtsgrundlagen, die eine stärkere Verbindlichkeit parlamentarischer Beschlüsse sicherstellten.